Gesammelte Werke 6 by Arkady Strugatsky

Gesammelte Werke 6 by Arkady Strugatsky

Autor:Arkady Strugatsky [Strugatsky, Arkady & Strugatsky, Boris & Strugatzki, Arkadi & Strugatzki, Boris]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-12-07T05:00:00+00:00


2

Banew | Im Familien- und Freundeskreis

Als Irma sorgsam die Tür hinter sich geschlossen hatte, steckte sich Viktor bedächtig eine Zigarette an. Mager war sie, langbeinig, ein höfliches Erwachsenenlächeln auf dem großen Mund und die Lippen grellrot geschminkt wie die ihrer Mutter. Sie ist kein Kind mehr, dachte er erschüttert. Kinder sprechen anders. Und sie war auch nicht grob, sondern grausam, ja schlimmer noch: Es war ihr einfach egal. Als ginge es darum, uns einen Lehrsatz zu beweisen, hatte sie alles durchgerechnet und analysiert, uns anschließend nüchtern das Ergebnis mitgeteilt und sich dann seelenruhig, mit wippenden Zöpfen, entfernt. Viktor bezwang sein Unbehagen und sah zu Lola hinüber. Ihr Gesicht war hektisch gerötet, und die grellroten Lippen zuckten, als wollte sie jeden Augenblick losweinen, aber sie dachte gar nicht daran – sie schnaubte vor Wut.

»Hast du das gesehen?«, sagte sie schrill. »Eine Rotznase, eine Göre – und schon so ein Biest! Nichts ist ihr heilig, jedes Wort eine Beleidigung, als wäre ich nicht ihre Mutter, sondern ein Scheuerlappen, an dem man sich die Füße abtritt. Man schämt sich vor den Nachbarn! So ein Aas, so ein Miststück …«

Und mit dieser Frau war ich verheiratet, dachte Viktor. Ich bin mit ihr in den Bergen gewandert, habe ihr Baudelaire vorgelesen und bin bei der Berührung mit ihr zusammengezuckt, ihr Geruch war mir so vertraut, ja, ich glaube, ihretwegen habe ich mich sogar einmal geprügelt. Ich weiß bis heute nicht, was sie dachte, wenn ich ihr Baudelaire vorlas. Erstaunlich, dass ich von ihr losgekommen bin. Ein Wunder, dass sie mich hat gehen lassen. Wahrscheinlich war mit mir auch nicht gut Kirschen essen. Ist es sicher heute noch nicht, aber damals habe ich noch mehr getrunken als heute und mich obendrein für einen großen Dichter gehalten.

»Dich kümmert das natürlich nicht«, schnaubte Lola. »Du lebst in der Hauptstadt und amüsierst dich mit Tänzerinnen und Schauspielerinnen. Ich weiß alles. Bilde dir bloß nicht ein, dass wir hier nichts davon wissen: von dem vielen Geld, deinen Weibergeschichten und den endlosen Skandalen. Wenn’s dich interessiert, mir ist das alles völlig egal, ich hab dir nie Steine in den Weg gelegt, und du kannst tun und lassen, was du willst …«

Lola verliert dadurch, dass sie zu viel redet. Als junges Mädchen wirkte sie still, schweigsam und geheimnisvoll. Es gibt Mädchen, die von Natur aus wissen, wie sie sich verhalten sollen. Und Lola war so ein Mädchen. Auch jetzt ist sie reizvoll, wenn sie so still auf der Couch sitzt und man ihre Knie sieht, wenn sie plötzlich die Arme hinter den Kopf legt und sich räkelt. Auf einen Provinzadvokaten muss das enorm wirken … Viktor malte sich einen gemütlichen Abend aus: das Tischchen vor die Couch gerückt, darauf eine Flasche, daneben perlender Sekt in Gläsern, eine Tafel Schokolade mit Schleifchen und der Advokat mit gestärktem Hemd und einer Fliege. Alles, wie es sich gehört, und plötzlich kommt Irma herein … Schrecklich, dachte Viktor. Lola ist nicht zu beneiden.

»Dir dürfte einleuchten«, begann Lola, »dass es nicht ums Geld geht. Geld ist jetzt nicht das Entscheidende.



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